G8 oder G9 und der Niedergang unseres Bildungssystems
Eigentlich wollte ich heute ein Montagsherz auf meinem Blog Traumalbum veröffentlichen. Aber der Webmasterfriday spricht mir mit seinem neuesten Thema über Erziehung und Bildung sehr aus dem Herzen. Der Freitag ist zwar schon vorbei, aber ich hatte vorher keine Zeit zum Bloggen und liefere hiermit nach.
Im Folgenden werde ich mich auf das Bayerische Schulsystem beziehen, weil ich dies am Besten kenne – als Schülerin und als Mutter von Schülern. Und ganz besonders liegt mir hier die Frage nach G8 oder G9, also der verkürzten Schulzeit bis zum Abitur und all die anderen Schulreformen am Herzen.
Inhalt:
Der Niedergang des Volkes der Dichter und Denker
Früher einmal galt das deutsche Bildungssystem als ziemlich gut und vorbildlich innerhalb der Industrienationen. Da wir in Deutschland eine Kulturhoheit haben, ist das Schul- und Bildungssystem von Bundesland von Bundesland unterschiedlich aufgebaut. Und als der King der schulischen Bildung gilt immernoch der Freistaat Bayern, was soweit geht, dass Schulabschlüsse aus anderen Bundesländern dort nicht oder nur eingeschränkt anerkannt werden.
Aber das Grundproblem in Deutschland sehe ich darin, dass man in den 60er und 70er Jahren alle Hände voll zu tun gehabt hat, um sich von der ehemals großdeutschen Pädagogik zu verabschieden. Und meiner Meinung nach hatte man sich in diesem Zusammenhang ein bisschen zu sehr in die Konzepte einer antiautoritären Erziehung verlaufen. Parallel dazu wurden Lehrer-Planstellen gestrichen, Geldmittel für Bildung gekürzt und die vielen Gastarbeiterkinder schlichtweg sich selbst überlassen.
Mit der ersten PISA-Studie 2000 kam dann die Ernüchterung. Wird in Deutschland der Erziehungsauftrag an den Schulen nicht mehr so ernst genommen? Bayern schnitt zwar noch ein wenig besser ab, aber international gesehen war auch hier das Ergebnis eher mäßig.
Ein Aufschrei!
Das Volk der Dichter und Denker besteht zum großen Teil aus Schulversagern!
Den Karren in den Dreck gefahren
Dabei kam dieser Aufschrei viel zu spät, man hatte den (Schul-) Karren bereits in den Dreck gefahren.
Und daran kann man nicht nur einem oft völlig unmotivierten, frustrierten Lehrkörper und der (bayerischen) Verweigerung von Gesamtschulen und Ganztagsunterricht die Schuld geben. Denn irgendwann kam irgendjemand auf die Idee, dass man auch mal ein bisschen an der Schullaufbahn herumschrauben könnte, um die Idee einer Art von Chancengleichheit zu Grabe zu tragen.
Früher kamen die schlauen Kinder nach der 4. Klasse auf das Gymnasium. Die “Spätzünder” unter den schlauen Kinder durften sich noch zwei Jahre lang ausruhen, um dann auf die Realschule überzutreten. Und nach oben war über den 2. Bildungsweg noch einiges offen.
Beispiel Bayern
Aber das ist ja schlecht! Und deswegen führte man um das Jahr 2000 herum in Bayern (und in anderen Bundesländern, aber ich meckere hier ja hauptsächlich über den Freistaat) die sechsstufige Realschule ein. Dadurch konnten oder mussten die Schüler bereits nach der 4. Klasse entweder ins Gymnasium oder eben in die Realschule wechseln. Parallel dazu wurde die Hauptschule zu einem Sammelbecken für Kinder aus sozial schwachen Familien mit allem möglichen Problemhintergrund.
Ich habe es an meinen Kindern erlebt, was es für einen Stress für alle Seiten bedeutet, solche zukunftsorientierenden Weichen bereits in der 3. Klasse zu stellen.
G8 oder G9?
Als man deutschlandweit einmal wieder ins Ausland geschielt hat, musste man feststellen, dass dort der Nachwuchs viel früher mit Schule und Studium abgeschließt. Somit steht dieser dem Arbeitsmarkt viel früher zur Verfügung.. Dabei übersah man geflissentlich, dass das Erziehungssystem in anderen Ländern mit Kitas und Ganztageskindergärten ganz anders aufgestellt ist.
“Jaaaa, Deutschland mit seinen 13 Schuljahren! Das ist ja viel zu lange!” hieß es und man suchte nach einer Lösung, um diese Zeit zu verkürzen.
Monika Hohlmeier, Kultusministerin
Allen voran preschte die damalige Kultusministerin von Bayern, Monika Hohlmeier. Bei der Dame handelt es sich um die Tochter von Urgestein Franz Josef Strauß. Sie ist Mutter von zwei Kindern, die auf einer Privatschule bestens versorgt gewesen sein dürften. Ruckzuck entschied sie die Frage nach G8 oder G9 für sich, denn schließlich kommen bei dem Turbo-Abitur nur die besten durch. Das sind dann leider oft diejenigen, deren Eltern Zeit, Muße und Wissen haben, ihre Kinder genügend zu coachen oder ihnen Nachhilfestunden zu bezahlen.
Nun sind seit ein paar Jahren die ersten Turbo-Abiturienten in die Freiheit entlassen und versuchen sich, zu orientieren.
Die Universitäten und Hochschulen beklagen die Schwemme von juvenilen Studenten, denen noch die nötige Reife für ein Studium fehlt. Die NGO’s erfreuen sich über die Menge an Volontiers, die über Organisationen wie “Work & Travel” in Costa Rica auf Schildkröten aufpassen und Handwerksbetriebe stellen vermehrt Abiturienten als Lehrlinge ein – für Lehrberufe, für die früher ein guter Qualifizierter Hauptschulabschluss völlig ausreichend gewesen ist.
Experimente mit unseren Kindern
Jetzt habe ich mir wiederholt den Frust von der Seele geschrieben. Denn vor knapp einem Jahr habe ich diese Zustände in diesem Artikel ganz ähnlich thematisiert. Aber diese Experimente, die man in Deutschland mit den Kindern macht und den nachvollziehbaren Wert unseres Bildungssystems ist wirklich besorgniserregend. Und wir werden dies noch einmal bitter bereuen.
Anstatt die Kinder zu fördern und zu erziehen, vielleicht noch besser oder anders zu fördern und erziehen, als dies im Elternhaus möglich sein kann, wird verwaltet und umgeschichtet und Geld verplempert.
Einen besonderes Zuckerl erlaubte sich in diesem Zusammenhang das Land der Bayern. Kurz vor Einführung der G8 neue Schulbücher für das neunstufige Gymnasium in Auftrag gegeben hatte.
Die konnten dann eingestampft werden.
Gott mit dir (du Land der Bayern)
Nachtrag von 2018: Inzwischen haben es viele Kultusministerien und Schulen eingesehen. Nach der Misere der Umstellung auf G8 und der Entlassung von kindlichen Abiturientn in ein Studentendasein können Gymnasien nun wieder eine neunstufige (G9) Schulform anbieten.
Auf den Punkt – passt!
PS: wünsche mir eine Fortsetzung zum “neuen” Studien-System (Bachelor/Master) ;-)
@Adelhaid: Jaaaaa … Das Bologna-Dingens. Da bastelt mein Ältester gerade herum. Eine ganz seltsame Sache.
LG Sabienes
Ah, Bologona, daher die Trichterlern-Reform. Sixtes, wider was g’lernd. ^^
Die Gretchen-Frage, die ich als sächsische Ex-Schülerin (ohne besondere Förderung) mit einem “Ist das echt soooooo schwer?” beantworten könnte. Ich denke aber, dass wir uns mit der Frage G8 oder G9 gut von den eigentlichen Problemen ablenken können. Die Kernfrage ist nicht, in welchem Zeitraum wir Wissen erwerben, sondern welches. Es wäre besser, wenn die Lehrpläne entschlackt würden. Die Kinder verbringen den halben Tag in der Schule und lernen Dinge, die nett zu wissen, aber nicht fürs Leben relevant sind. Wissen zu erwerben ist toll und mich lenkt das gut vom Alltag ab. Es macht Spaß! Aber Kindern/Jugendlichen sollte man beibringen, wie die Arbeitswelt tickt. Und man sollte sie herausfinden lassen, ob sie gern praktisch arbeiten oder Probleme im Kopf lösen. Wissen zählt in unserem Bildungssystem mehr als etwas entdecken und selbst Erfahrungen zu machen.
@Evy: Die Lerninhalte sind schon seltsam, dass habe ich bei meinen Jungs auch feststellen können. Vor allen Dingen setzt man ja in Bayern auch noch stark auf das pure Auswendiglernen und das Abgreifen von Phrasen, statt auf das Verstehen von Zusammenhängen.
LG
Sabienes