Griesgram und die Unwille, seine Mitmenschen zu grüßen

12. März 2009 Aus Von Sabiene
Griesgram

Griesgram

In der kleinen Stadt, in der ich lebe gibt es naturgemäß verschieden Arten und Charaktere in der Bevölkerung. Erstaunlich ist ein relativ hoher Anteil von grieskrämigen, unfreundlichen Menschen.

Der Griesgram in unserer Stadt

Die meisten von diesen sind jenseits der 50. Ihre Mundwinkel haben der Macht der Erdanziehung längst nachgegeben. Und so stolzieren sie zweimal täglich einen grimmigen Blick starr geradeaus gerichtet auf ihrer Piste zwischen Sparkasse und Edeka hin und her. Gegrüßt werden höchstens Altersgenossen, meist aus dem Schuljahrgang ’46 oder so. Auch diese zeichnen sich in der Regel nicht durch ein besonders fröhliches, gar zugängiges Wesen aus. Bleiben sie auf ein Schwätzchen stehen, wird umgeben von einer Weltuntergangs-Aura nur lamentiert und gejammert.

Wir grüßen jedermann!

Der Charakter meines Mannes zeichnet sich wahrscheinlich durch eine gewisse Unverfrorenheit aus. Anders ist es nicht zu erklären, dass er eines Tages begann, einen wildfremden älteren Herrn zu grüßen. Er war einer der extremsten Vertreter dieser nicht-freundlichen Sippe, abweisend, düsterer Blick, die Mundwinkel ungefähr auf Kniehöhe.

Also mein Mann grüßte nun regelmäßig diesen ihm unbekannten Herrn, nur um sich ein Späßchen zu machen. Der Gegrüßte reagierte zuerst unwirsch und dann völlig konsterniert. Geschah ihm doch das Schlimmste, was es geben konnte: ein unaufgefordertes “Grüß Gott” von einem Unbekannten, Jüngeren!

Ein Gruß, ein Lächeln, ein nettes Wort kann niemals umsonst sein. Und so begann ich, diesen Griesgram ebenfalls zu grüßen. Er schien es kaum zu glauben: jetzt grüßt ihn auf offener Straße auch noch eine ihm unbekannte Frau!

Am Anfang ging er starr und stur immer weiter und tat so, als hätte er nichts gesehen. Mit der Zeit meinte ich aber, den Ansatz eines Lächelns in seinem Gesicht zu erkennen, wenn ich ihm freundlich zunickte. Er wirkte auch lockerer und nicht mehr so hölzern, wie zuvor.

Vor einigen Wochen rannte ich durch die Stadt und hatte es sehr eilig. Ich war auf dem Weg zu einem Termin und mal wieder viel zu spät dran.

Es war so schlimm, dass ich mich bereits darauf konzentrierte, auf meinem Weg keine Sekunde zu verlieren. Da sah ich schon von weitem, dass mir dieser Mann entgegenkam. Ich dachte mir fast in Steno: “Heute grüß ich den mal nicht, bin im Stress. Vielleicht fällt ihm dann auf, das irgendwas fehlt!” und sauste an ihm vorbei.

An diesem Tag grüßte er mich zum ersten Mal.

Foto: Griesgram und die Unwille, seine Mitmenschen zu grüßen ©Sabienes.de
Text: Griesgram und die Unwille, seine Mitmenschen zu grüßen ©Sabienes.de
Zusammenfassung:
Griesgram und die Unwille, seine Mitmenschen zu grüßen
Titel
Griesgram und die Unwille, seine Mitmenschen zu grüßen
Beschreibung
In Obernburg am Main gibt es manch einen Griesgram, denn in Unterfranken grüßt man nicht jeden, um niemanden zu erschrecken
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