Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins … Eine Liebeserklärung
Bevor ich zu erzählen beginne, muss ich erstmal den Umstand, dass meine Eltern sehr, sehr anständige, ordentliche Leute gewesen sind, deutlich betonen. Denn ansonsten könnte bei euch im Folgenden ein völlig falsches Bild über mein Elternhaus entstehen.
Ich habe ja bereits in diesem Artikel behauptet, dass ich als Kind zwar die Hamburger Reeperbahn kannte, aber nicht das Blankeneser Treppenviertel. Das kommt daher, dass eines meiner liebsten Kindheitserinnerungen die Autofahrten mit meinem Vater über die Reeperbahn bei Nacht (oder in der Dunkelheit) sind.
Damals saß ich auf dem Rücksitz unseres Ford Taunus und bestaunte die nächtliche Glitzerwelt an den Gebäuden, hinter denen irgendwie die Sünde wohnte. Das war sehr verrucht und ein bisschen große weite Welt.
Oder so.
Genau wusste ich das damals noch nicht.
Ich musste aber auch immer sehr gut aufpassen. Denn wenn mein Vater „Jetzt!“ rief, passierten wir in eine besonders „gefährliche Gegend“. Ich war dann dafür verantwortlich, ganz schnell links und rechts die Türknöpfe nach unten zu drücken und spürte dabei jedes Mal einen deutlichen, aber höchst erfreulichen Nervenkitzel.
Für diesen Spaß bin ich meinem Vater heute noch sehr dankbar.
Inhalt:
Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins …
Die etwa 930 Meter Reeperbahn, auf der früher Schiffstaue „gereepert“, also gedreht wurden, lag im 19. Jahrhundert genau zwischen den Städten Hamburg und Altona. Dort siedelte sich alles an, was man in beiden Städten nicht haben wollte: Gauner, Betrüger, Spielleute, liderliche Weibsbilder und vieles mehr. Dieses Business profitierte natürlich auch besonders von der Lage am Hafen und den Seeleuten aus aller Welt, die nicht nur nachts um halb Eins ihr meist käufliches Vergnügen suchten.
… ob du’n Mädel hast oder auch keins, …
So lange noch was von der Heuer übrig war, wird das mit dem Mädel kein großes Problem gewesen sein. Diese gab es früher (und auch jetzt noch) rund um die Reeperbahn an jeder besseren Ecke, der Rest war Verhandlungssache.
Wer nicht lange suchen wollte, ging gleich in die Herbertstraße, wo die Damen von ihren Kunden erst mal in Schaufenstern bewundert und begutachtet werden konnten.
Diese Institution gibt es auch heute noch. Die Tore auf beiden Seiten der Straße sind aber eine Erfindung der Nationalsozialisten. Denn eigentlich war damals Prostitution und Striptease ja verboten.
Eigentlich.
… amüsierst du dich, denn das findet sich …
Inzwischen ist das Gewerbe und die ganze Unter- und Halbwelt weitergezogen und tagt in anderen Stadteilen. Dort geht es mittlerweile viel härter zur Sache, als jemals zuvor. Aber mit Sicherheit gehörten die Erzählungen von ehrbaren Ganoven und Puffmüttern mit dem Herz am rechten Fleck ins Reich der Fabelwesen, besungen von einem Hans Albers.
Aber ob die Menschen auf dem Kiez damals ähnlich armseelig leben mussten, wie die 14jährige Kindernutte aus Bulgarien, die nun drogensüchtig am Hansaplatz steht?
Ich bin mir da nicht so sicher.
… Wer noch niemals in lauschiger Nacht einen Reeperbahn-Bummel gemacht …
Amüsieren könnt ihr euch auf der „sündigsten Meile der Welt“ aber immer noch. Wenn ihr euch zwischen Millerntorplatz und Große Freiheit ins Getümmel stürzt, werdet ihr euch bis weit nach „nachts um halb eins“ nicht langweilen. Es ist eher wahrscheinlich, dass ihr von den unendlich vielen Junggessellen-Abschieden, Koreaner, Italienern, Amerikaner, Engländern und Schwaben überrollt fühlt.
Wir haben damals im St. Pauli Fanshop Zuflucht von den Touristenmassen gesucht. Die Filiale auf der Reeperbahn hat freitags und samstags bis 23.00 Uhr geöffnet. Damals spielte dort eine Band namens „Millerntor-Brigade“ schottische und irische Partisanenlieder. Und das war so eine solche Stimmung, das kann man sich gar nicht vorstellen.
Man muss kein Fußballfan sein, um diesen Fanshop zu mögen. Und mit Sicherheit findet ihr dort ein schöneres Mitbringsel, als im Waffenladen oder im Sexshop ein paar Häuser weiter.
Wir sind im letzten Jahr auch über etliche geführte Touren gestolpert, den Kieztouren. Und sowas würde ich bei meinem nächsten Hamburg-Besuch einmal wahnsinnig gerne buchen.
… ist ein armer Wicht …
Seit den 70er und 80er Jahren hat sich das Viertel rund um die Reeperbahn ziemlich verändert. Haben in den 60ern die Beatles noch im Starclub ein kümmerliches Dasein gefristet, kann man sich heute im ganzen Viertel Musicals in weltbester Inszenierung gönnen.
Auch wenn dieser ganze Kiez nun ziemlich weichgespült und städtemarketingmäßig durchgestylt wurde, handelt es sich keineswegs um ein ungefährliches Pflaster.
Wie überall, wo viele Menschen, gepaart mit Frohsinn und Alkohol zusammenkommen, gibt es Diebe, sexuelle Übergriffe und so weiter.
Und sturzbesoffene Partygänger in der U-Bahn sind auch kein wahres Vergnügen.
Deswegen solltet ihr auch heutzutage auf der Reeperbahn nachts um halb eins gut auf euer Zeug aufpassen.
Und alleinreisende Mädels gehören um diese Zeit immer ins Taxi und nicht in die öffentlichen Verkehrsmittel.
Nachtrag aus dem Jahr 2018
Seit März 2018 ist die Reeperbahn, die “alte Gangsterbraut” um eine Attraktion reicher. Ich spreche von der Panik City, der Udo Lindenberg Erlebniswelt. Von diesem wirklich sehenswerten Spektakel könnt ihr in diesem Artikel mehr lesen.
Hallo Sabine,
ich kann mir richtig vorstellen, wie du als kleines Meedel darauf gewartete hast, dass das Kommando von deinem Vater kam. Hat schon einen großen Hauch von Abenteuer :-). Falls wir mal wieder zusammen in Hamburg aufschlagen (hoff) wäre eine Stadttour auch mal ne Option. Vielleicht finden wir außer der reeperbahn auch noch andere Gute. ?!?, Danke übrigens für den Ohrwuhrm, den ich schon jetzt, während des Tippens vom Kommentar im Ohr habe.
Liebe Grüße
Sandra
Hallo,
der Einstieg in deinen Artikel (Papa fährt nachts mit Tochter mit dem Auto über eine sog. sündige Meile) hat in mir ganz ähnliche Erinnerungen geweckt. Anfang der 70er konnten wir Westberliner ja tageweise nach Ostberlin mit dem Auto zum Verwandtenbesuch einreisen. Einer der Grenzübergänge hieß Invalidenstr. Dort liegt heute in etwa der Hauptbahnhof. In dieser Straße auf der Ostseite wohnte unsere Verwandtschaft. Die Rückreise in einen westberliner Außenbezirk fand dann immer nachts im Auto statt, denn man musste spätestens um 2 Uhr wieder draußen aus Ostberlin sein. Unsere Route führte damals über die Potsdamer Straße inkl. Stripclubs, Straßenstrich und allem drum und dran. Die Sicherung der Autotüren oblag immer meiner Mutter, da meine Eltern davon ausgingen, dass ich im Auto schlief und ich sowieso strikte Anweisung hatte, nicht hinzuschauen. Also schlief ich sehr leise mit weit offenen Augen und bekam echt viel zu sehen, denn auf der Potsdamer Str. gibt und gab es sehr viele Ampeln, während deren Rotphasen man reichlich Zeit für Feldstudien hatte. Mein Vater hat auch meine Nachtruhe nicht so sehr rrespektiert und die rumstehenden Mädels und ihre Outfits immer lautstark lästernd kommentiert.
Der Kiez steht bei nächsten HH-Besuch auf dem Programm unter fachkundiger einheimischer Leitung der Freundin meines Sohnes.
LG Iris
Super Bericht, du hast mir den verregneten Sonntag versüsst :)
Nur der Ohrwurm nervt jetzt etwas, habe ihn mir auf youtube 2 mal angehört und nun geht er nicht mehr raus :D
Lg, Lisa
Auf der Reeperbahn war ich auch schon lang nicht mehr.
HH ist leider so weit weg, aber ich habe auch noch ein St. Pauli T-Shirt hier, auch aus dem Fanshop :D
Liebe grüsse Tanja
Ich musste schmunzeln beim lesen, weil Erinnerung aufkam und
herrlicher Bericht..liebe Sabine.
Als ich noch in Hamburg wohnte (sehr lange her, ungefähr zu 60ern und Beatles
Wollte mein Bruder mit mir auf die Reeperbahn in eine sehr bekannte Disko.
Ich hatte das Alter inne mein Bruder aber nicht (er war jünger). Er hatte mit seinen Pass gemogelt..
und ich hatte keinen mit dabei. Ich konnte mich also nicht ausweissen und wurde angemahnt die
Disko zu verlassen und mein Bruder durfte bleiben..(weil sein Alter gemogelt, das wussten die ja nicht).
Damals sah ich sehr jung aus..Man nahm mir mein wahres Alter nicht ab..*lach*
Heute kann ich drüber lachen :)))
Liebe Grüsse
Elke
Haha Elke, das kommt mir bekannt vor :)
haben wir doch alle so oder ähnlich erlebt :)
@Sandra: So eine Stadttour sollten wir uns geben! Wann fahren wir?
Tut mir Leid für den Ohrwurm. Hoffentlich leidest du nicht allzu sehr. Ich mag ja den Hans Albers gar nicht so gerne. Aber ich habe solche Lieder fast mit der Muttermilch eingesogen. Fast.
LG Sabienes
@Iris: Feldstudien! Genau das war es bei mir auch! Dabei wusste ich noch gar nicht so genau Bescheid, was da so abgeht. Ich meine, warum sich die Damen so anziehen und für was sie bezahlt werden. Vielleicht machte das die Feldstudien noch interessanter.
LG Sabienes
@Lisa w.: Muhahahaha! Du Ärmste!
LG Sabienes
@TanjaS: HH ist wirklich viel zu weit weg!
LG Sabienes
@Elke: Deine Geschichte beinhaltet ja eine unglaubliche Situationskomik! Wie gemein, dass der kleine Bruder da reinkommt, nur weil er schummelt! Mein Sohn wollte mal mit einem Freund ins Kino (Harry Potter) und der ältere, aber zart gebaute Kumpel kam auch nicht rein. Gottseidank war ich noch in der Nähe und ich habe mich dann als Mama vom kleinen Salvatore ausgegeben. ;-)
LG Sabienes
Ja, lustig, wenn man als Kind zwar ahnt, dass die Erwachsenen Dinge tun, die einem noch verborgen bleiben, jedoch auf diese Weise einen kleinen Einblick bekommt :-)
@AchimZ
Aha…du auch :)
Nicht alle, aber viele ..*schmunzel
und die Anderen haben was verpasst :)
@Jaelle Katz: Kinder haben ja die Fähigkeit, Ungereimtheiten einfach so hinzunehmen. Da ist das Rotlichtmilieu genauso unverständlich, wie Differentialgleichung. Nur macht letzteres nicht so interessant. ;-)
LG Sabienes
Haha guter Spruch, das merk ich mir :D